Krieg spielen

Kindheit in Eichgraben und Kirkuk

von Ines Wancura

Tamara ist in Eichgraben aufgewachsen. Auch Ali lebt in Eichgraben. Er ist vor sechs Monaten aus dem Irak hierher geflohen. Die beiden sind beinahe gleich alt. Die Liebe zu Eichgraben und das Alter sind jedoch fast das Einzige, das sie gemeinsam haben. In dieser Geschichte erzählen sie abwechselnd von ihrer Kindheit. Vom Aufwachsen in Eichgraben und vom Aufwachsen im Irak. Vom „Krieg spielen“ und vom „Spielen im Krieg“.

Der Wind weht Tamara ein paar lange, dunkelblonde Haarsträhnen ins Gesicht. Sie streicht sich die Haare hinters Ohr und als sie ein großes Feld erreicht, erzählt sie aufgeregt: „Hier haben wir uns als Jugendliche immer getroffen. Wir waren immer um die zehn Leute. Alle haben Alkohol mitgenommen und dann haben wir uns in einem der Felder einen Platz gesucht. Dort sind wir dann oft bis mitten in der Nacht geblieben. Manchmal wurde es sogar schon wieder hell bevor wir  zu Hause waren.“ Außerdem waren sie damals oft im „Bridge“. Das gibt es jetzt allerdings nicht mehr. Es war ein kleines Pub, ein paar Meter hinter dem Gasthaus Hack. Ideal für Jugendliche, um nicht nach Wien fahren zu müssen und trotzdem etwas trinken gehen zu können.

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© Tamara

Ali sitzt auf der Terasse von Mo‘s Bistro und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Die moderne Sonnenbrille verdeckt seine Augen. Genüsslich nimmt er einen großen Schluck von seinem Bier. Dann erzählt er vom Irak. „Dort hat es das nicht gegeben“, sagt er und schüttelt den Kopf. Im Irak musste er immer nur arbeiten. Seit er acht Jahre alt ist, arbeitet Ali als Tischler, nachmittags. Vormittags war er in der Schule. „Im Irak hatte man tagsüber keine Zeit irgendwo hinzugehen. Man arbeitet immer. Und wenn es dunkel ist, ist jeder zu Hause. Da ist es zu gefährlich draußen.“ Als von Partys und Fortgehen die Rede ist, schüttelt er wieder den Kopf und sagt: „Im Irak ist das nicht so wie hier. Nachts gibt es keine Party und man trinkt nicht. Dort hat man zu viel Angst.“

Angst hatte auch Tamara ab und zu. Manchmal hatte sie sich als Kind mit ihren FreundInnen zum Moor hinter den Aquädukten geschlichen. Es kursierte die Geschichte, dass dort einmal ein Mädchen im Moor fast wie im Treibsand versunken ist. Sie soll nie wieder aufgetaucht sein. „Vermutlich eine Gruselgeschichte, die uns die Eltern erzählt haben, damit wir dort nicht hingehen“, sagt sie lachend.

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© Ali

Da Kinder ja bekanntlich oft gerade das tun, was sie nicht tun sollten, hatte es ihnen natürlich gerade das Moor angetan. Es gab dort immer Mutproben. Mutproben, wie weit man sich hinein traut. „Man war der Held, wenn man am nächsten Tag zur Schule kam und erzählte: Gestern war ich bis zur Hälfte im Moor und ich habe es überlebt!“ Die Eltern hatten nie etwas davon erfahren, sonst wären sie bestimmt böse gewesen. Und besorgt.

Ali zupft nervös an seinem karierten Hemd herum. Er hält sein Glas fest umklammert. „Im Irak werden die Kinder von den Eltern geschlagen. In Österreich passiert das vielleicht bei einer Familie von hundert. Im Irak: hundert von hundert!“
Er erzählt auch von der Schule und seinen Lehrern. Einmal hat der Lehrer einen Freund von ihm geschlagen. Sein Freund war danach auf einem Ohr taub. Wenn die Noten nicht gut waren, gab es Schläge. Zuerst von den Lehrern und dann zu Hause. Die Familien, die viel Geld hatten, konnten dann gute Noten für ihre Kinder kaufen. „Sonst hat man Pech gehabt.“

Es hat auch einen Kindergarten gegeben. Dort ist Ali aber nicht hingegangen. „Das Essen dort war sehr schlecht. Ein Freund hat dort einmal etwas gegessen und war dann zwei Monate im Krankenhaus.“

Bei Tamara im „Rapunzel Kindergarten“ war das Essen auch manchmal nicht besonders gut gewesen. Dann hatte sie das Essen in ihren Backen gesammelt, wie ein Hamster, um es dann im Klo runterzuspülen. „Bis auf das Essen war der Kindergarten aber super. Ich kann mich noch genau an Tante Anna erinnern. Die war wirklich lieb!“

Auch die Volksschule hat Tamara in Eichgraben besucht. Direkt gegenüber war ein Adeg. Von dort hatte es in der Pause immer günstige, frische Weckerl für alle Kinder gegeben.

„Ob die Lehrer streng waren? Nein, überhaupt nicht. Ich hatte immer lauter Einser. Frau Margret Haiden war meine Lehrerin, die war immer ur lieb. In der Pause waren wir oft draußen, da haben dann die Burschen Fußball gespielt“

Auf die Frage, was Ali als Kind im Irak gespielt hatte, muss er lange überlegen. Sein Bier ist inzwischen fast leer. Sein Blick ist nach unten auf die Tischplatte gerichtet. Dann fängt er wieder an zu erzählen: „Kinder hier in Österreich haben alles. Playstation, Computer, Internet. Das gibt es im Irak nicht. In Eichgraben spielen die Kinder draußen im Park oder im Garten Fußball. Im Irak gibt es keine schönen Parks. Wir haben auf der Straße gespielt. Aber nur tagsüber. Es hat immer nur Raufereien und Streitereien gegeben. Oder wir haben Krieg gespielt. Mit ungeladenen Waffen.“

„Wir haben uns aus Holz Pfeil und Bogen gebastelt“, erklärt Tamara, als sie von ihrem Versteck im Wald erzählt. Es gab einen Waldabschnitt, der einem älteren Mann gehört hat. Der Mann hat dort immer kleine Holzhütten gebaut. „Das war dann unser kleines Dorf. Es gab eine Dorfkirche, ein Klo und wir haben uns aus Holzstöcken Mauern gebaut, hinter denen wir uns verstecken konnten, wenn wir Krieg gespielt haben. Deshalb haben wir auch Pfeil und Bogen gebraucht. Meistens haben wir Mädchen gegen Burschen gespielt.“

Im Irak dürfen Mädchen nicht mit Jungen spielen. Nicht einmal reden. Die Jungen gehen vormittags in die Schule, die Mädchen dann am Nachmittag. Wenn sie überhaupt zur Schule gehen. „Man lernt schon als Kind, dass man nicht mit Frauen reden darf. Wenn man dann erwachsen ist, ist man Frauen gegenüber panisch. Ein Freund von Ali, der seit fünf Monaten in Eichgraben wohnt, hat jetzt immer noch Angst davor mit Frauen zu reden. „Für mich war das nicht so schwierig, weil ich früher schon mal in der Türkei war. Dort war das nicht so streng. Jetzt wohne ich seit acht Monaten in Österreich und ich habe schon viele Freunde hier gefunden. Auch Freundinnen.“

Tamara ist vor sechs Monaten von Eichgraben nach Neulengbach gezogen. „Ich komme trotzdem noch sehr oft nach Eichgraben, um meine Familie zu besuchen. Ich bin sehr gerne hier“ sagt sie und zeigt dabei auf das Haus, in dem sie aufgewachsen ist.
Ali erzählt von seinen Eltern: Sein Vater war Soldat und ist vor über einem Jahr ums Leben gekommen. Seine Mutter ist vor drei Jahren verstorben. Auf die Frage, was sein größter Traum sei, antwortet er: „Eine neue Familie.“

Lesen Sie hier von der Familie Hamid, die in Eichgraben wieder zusammenfand.

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