Majid und der Wald

Ein Ausflug mit einem Geflüchteten

von Mona Kriesch und Marlene Liebhart

Vom Klostergelände hört man ein aufgescheuchtes Huhn empört gackern, da spurtet auch schon Majid beschwingten Schrittes aus dem Tor heraus. “Bia, bia!”, ruft der 22-Jährige grinsend. Auf Persisch bedeutet das so viel wie “Gemma, gemma.” Anscheinend kann er es kaum erwarten, in den Wald zu kommen.
Wir haben schon auf ihn gewartet. Bussi links, Bussi rechts und los gehts. Am Obstgarten vorbei führt die Straße bergauf.Majid ist Asylwerber und wohnt in der Unterkunft, die im Gebäude des ehemaligen Annunziataklosters in Maria-Anzbach untergebracht ist. 60 Menschen leben dort, viele Familien und Kinder. Arbeiten ist während des Asylverfahrens nicht erlaubt. Und auch wenn der große, grüne Klostergarten mit seiner Kastanienallee, der neugotischen Kirche und der Lourdesgrotte hinterm Haus noch so wunderschön ist; viel zu tun gibt es dort nicht.Marlene fächert sich im Gehen mit einem großen Blatt Luft zu. Majid öffnet seinen Rucksack und gibt ihr eine Flasche Wasser. Auch für Mona hat er eine dabei. “Ihr müsst genug trinken.”
“Und du? Fastest du gerade? Es ist ja Ramadan, oder?”, fragt Mona.
Er sei kein Muslim, antwortet Majid. Nicht mehr. “Religion ist nur einer von vielen Wegen zu Gott. Ich gehe einen anderen”, sagt er und schreitet zielstrebig voran. Es geht immer noch bergauf, jetzt aber weniger steil.

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© Marlene Liebhart
“Schaut mal da”, sagt Marlene. Majid und Mona drehen sich zu ihr um. Sie zeigt auf den Boden. Dort liegt ein Stück eines metallisch-grünen Panzers.
“Ah!”, entfährt es Majid. “Das ist von einem…”
Ratlos sucht er nach dem richtigen Wort. Obwohl er sich für nur sechs Monate Sprachunterricht schon sehr gut auf Deutsch unterhalten kann, fehlen ihm manchmal immer noch ein paar Worte.
“Käfer?”, versucht Mona ihm zu helfen.
“Hast du Internet? Kann ich kurz dein Handy ausborgen?”, fragt er nur. Mona reicht es ihm und er öffnet Google Translate.
“Von einer Schnecke!”, ruft er kurz darauf triumphierend.
Wir lachen. “Nein, das hier ist von einem Käfer”, sagt Marlene. “So ähnlich wie ein Skarabäus.”
“Schnecken sind bei uns leider nicht so schön. Manche haben ein Haus, aber die sind alle braun”, sagt Mona. “Manche sind überhaupt nackt. Und alle sind sie langsam.”
Majid nickt und hebt die Schale auf, um sie mitzunehmen.
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© Marlene Liebhart
Die Straße ist gesäumt von Einfamilienhäusern in großen, gepflegten Gärten. Von einer Terrasse bellt uns ein Labrador zu. “Schluss jetzt, gib an Frieden!”, tönt eine Frauenstimme unwirsch aus der offenen Balkontür.
Es duftet nach Flieder, zwischen den Häusern fällt der Blick weit über das Tal. Grün soweit das Auge reicht. Majid seufzt: „Eichgraben ist wunderschön.“
Hier will er einmal leben, nicht im Kloster, sondern in einem Haus. Gemeinsam mit seiner Familie. „Eichgraben alleine ist aber inkomplett, studieren und arbeiten will ich in Wien.“
Einfamilienhaus um Einfamilienhaus zieht an uns vorbei.
Hinter einer Buchsbaumhecke kläfft es uns im Duett einmal mehr aufgebracht entgegen. “Seid ihr ruhig, Schluss jetzt!”, ruft die blonde Frau, die durch den Garten stürmt, um ihre beiden Schoßhündchen zu beruhigen.Einige Meter weiter bietet sich uns eine besonders schöne Aussicht.
“Machen wir ein Selfie”, sagt Majid und zückt sein Handy. Wir schneiden ein paar Grimassen in die Kamera und müssen herzhaft lachen, als wir die Ergebnisse sehen.
“Im Iran können Frauen und Männer auf diese Art nicht Zeit miteinander verbringen. Außer sie sind verwandt oder verheiratet”, sagt Majid.
Er ist im Iran aufgewachsen. Seine Eltern sind Hazara aus Afghanistan. Mit 20 heiratete Majid eine Kollegin aus dem Studium. Doch schon nach zwei Semestern an der Universität durfte er nicht mehr weiterstudieren und sollte aufgrund seiner Herkunft nach Afghanistan ausreisen.
“Dort ist es aber sehr gefährlich für mich. Dort sind die Taliban. Verstehst du Taliban…?”
Er nimmt Mona das Handy aus der Hand und tippt darauf herum. Google Translate muss wieder helfen.
“Hot-orientierte?”, liest Marlene vom Bildschirm ab. “Meinst du Radikale?”
“Ja. Ich bin Hazara, für die Radikalen bin ich …“. Er tippt wieder und hält uns die Übersetzung hin.
Ich bin der Feind steht dort.
Wir schweigen betreten. Majid reibt sich kurz die Augen und geht dann wieder los, den Hang hinauf.

Kurz darauf treten wir endlich in den kühlen Schatten des Waldes. Der mit dürren Zweigen übersäte Weg knackt unter unseren Füßen. Es riecht nach Erde und Harz. “Willkommen!”, ruft Majid uns, jetzt wieder ausgelassen, zu und streckt seine Hände den Baumkronen entgegen.
Schon bald teilt sich der Pfad. Höhenwanderweg steht auf dem Wegweiser, der in beide Richtungen zeigt. Majid deutet nach rechts.
“Dort ist Rekawinkel.”
Zielstrebig stapft er in diese Richtung los.
“So weit möchtest du gehen?”, fragt Marlene, die versucht, mit ihm Schritt zu halten. Er lacht. “Nein, so weit nicht.”
Bald verlassen wir den ausgewiesenen Wanderweg. Hier und dort kreuzen Trampelpfade unsere Bahn, denen wir ein Stück weit folgen, um dann doch wieder über Stümpfe zu steigen und über Gräben zu hüpfen. Majid führt uns mit selbstsicherem Tritt; hier kennt er sich aus. Bis zu fünf Mal in der Woche geht er in den Wald um ihn zu erkunden. Eine schönere Freizeitbeschäftigung gibt es für ihn nicht.

Die Sonne, hoch über dem dichten Blätterdach, malt tanzende Lichtflecken auf den Waldboden und lässt die Zweige leuchten. Bei einem umgestürzten Baumstamm macht Majid halt.
“Hier bleibe ich immer ein bisschen”, sagt er. “Hört ihr die Vogelstimmen?”
Jetzt sind wir alle ganz still und heben unsere Gesichter den Wipfeln entgegen. Tatsächlich trällert und singt es überall im Gehölz.

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© Marlene Liebhart

Majid setzt sich auf den Stamm, öffnet seinen Rucksack und zieht eine Tupperdose mit Tomaten und zwei in Speckpapier eingewickelte Semmeln heraus. Wortlos lächelnd hält er sie uns entgegen.
“Für uns?”, fragt Mona erstaunt. “Ich habe gekocht”, sagt er stolz.
Die Weckerl sind mit Kuku belegt, einer Art persischem Kartoffelpuffer mit Safran und Kurkuma. Kochen gelernt hat Majid erst in Österreich, im Iran kochte immer seine Mutter für ihn. Und wie bei seinem Deutsch hat er offensichtlich auch hier schnelle Fortschritte gemacht; die Jause schmeckt. Für eine Weile müssen uns die Vögel jetzt beim Schmatzen zuhören.

Am Weg ins Tal auf der anderen Seite des Hügels tätschelt Majid beim Vorbeigehen den dicken Stamm einer großen Buche, als würde er einen alten Freund begrüßen. Der Wald lichtet sich allmählich und öffnet sich auf eine Wiese, die von einem Teppich aus violetten Blumen überzogen ist. Wir nehmen den Schotterweg, der sich durch sie hindurchschlängelt. Nicht der kleinste Windhauch bewegt die hohen Gräser. Das Brummen von Hummeln erfüllt die Luft.

©Marlene Liebhart
© Marlene Liebhart

Marlene bleibt ständig zurück, um Fotos zu machen. “Schnecke!”, ruft Majid.
Er bleibt stehen um auf sie zu warten und fragt dann: “Bist du müde?” “Nein”, antwortet Marlene. “Und du?” “Nein.”
Dann schweigt er eine Weile. “Ich habe Platin im Bein, nach einem Autounfall im Iran. Gehen tut weh.”
“Möchtest du eine Pause machen?”, fragt Mona.
“Ich bin nicht müde”, sagt Majid.

Suchend späht er in den Wald. Auf einmal schiebt er die Zweige eines Strauches beiseite und klettert die Böschung hinunter auf einen kleinen Waldweg. Jetzt bewegt er sich fast lautlos.
“Pssst.” Mit einem Finger auf den Lippen bedeutet er Marlene und Mona ebenfalls leise zu sein. Er zeigt auf eine Lichtung. “Hier habe ich schon manchmal Rehe gesehen”. Heute bekommen wir leider keine zu Gesicht und langsam wird es auch Zeit, umzukehren. Von nun an gehen wir schweigend hintereinander her. Unter den schützenden Kronen von Buchen, Eichen, Lärchen und Kiefern.

Bevor wir schließlich den Wald verlassen, hält Majid kurz inne und holt tief Luft, als wolle er die Stimmung bis zur nächsten Wanderung festhalten. “Du liebst die Natur, oder?”, fragt Marlene.
“Ja. Die Natur ist mein Weg zu Gott.”, sagt Majid und tritt zwischen den Bäumen hindurch zurück auf die Straße.

©Marlene Liebhart
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